Entscheidung aus Straßburg

Klimaschutz als Grundrecht: eine Sensation - aber welche Folgen hat das Urteil?

Alexander Jungkunz

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10.4.2024, 16:31 Uhr
Jubelten nach dem Urteil: die Vertreterinnen der Schweizer Klima-Seniorinnen in Straßburg.

© Jean-Christophe Bott/dpa Jubelten nach dem Urteil: die Vertreterinnen der Schweizer Klima-Seniorinnen in Straßburg.

Sie schrieben ein Stück europäischer Rechtsgeschichte: die streitbaren Damen der Schweizer Klima-Seniorinnen. Die Bilder von den feiernden Frauen vor dem Straßburger Gerichtsgebäude gingen durch alle Nachrichten - doch wie das Urteil nun konkret zu werten ist, vor allem: welche Folgen der Spruch des Europäischen Gerichtshofs für Menschenrechte nun tatsächlich haben wird - darüber beginnt die Debatte erst.

Sehr konkrete Ermahnungen

Unzureichende Klimaschutzpolitik sei ein Verstoß gegen die Menschenrechte, urteilten die Richter. Und sehen die "Vertragsstaaten" - das sind immerhin alle 46 Länder, die dem Europarat angehören, also weit mehr als der EU - in der Pflicht, "Maßnahmen in der Praxis zu ergreifen, die dazu geeignet sind, die gegenwärtigen und möglicherweise irreversiblen künftigen Effekte des Klimawandels zu begrenzen".

Zudem erinnert der Menschenrechts-Gerichtshof die Staaten an bereits geschlossene Verträge wie das Pariser Klima-Abkommen - Verträge, die zu oft nicht eingehalten werden. Innerhalb der nächsten drei Jahrzehnte seien die Treibhausgasemissionen auf Netto-Neutralität zu reduzieren, fordern die Richter.

Ein Urteil mit Sprengstoff? Schon. Denn es trifft das Spannungsfeld zwischen der Politik - ob national oder in Form internationaler Abkommen - und Gerichtsbarkeit. Eigentlich sind es Regierungen, die Regeln setzen. Regiert die Justiz nun mit? Diese Bedenken treiben jetzt viele um. Meist eher jene, die in Sachen Klimaschutz nicht aufs Tempo drücken.

Doch es wird da Neuland zu erkunden sein: Wie sehr muss Politik auf die auch gesundheitlichen Folgen der Erderwärmung achten und ihre Beschlüsse darauf ausrichten? Die Frage stellt sich nicht erst seit dem Urteil, das die Seniorinnen erkämpft haben.

Vor drei Jahren urteilte Karlsruhe ähnlich - und wenig geschah

Vor ziemlich genau drei Jahren, am 24. März 2021, verkündete das Bundesverfassungsgericht seinen seitdem viel zitierten und wenig beachteten Klima-Beschluss: Karlsruhe stellte fest, dass die heute unzureichende Klimaschutzpolitik Freiheits- und Grundrechte von morgen beeinträchtigt. Die Reaktionen waren damals ähnlich: Umweltverbände begrüßten ein bahnbrechendes Urteil - das den Klima-Klebern der "Letzten Generation" als eine Begründung ihrer Proteste diente. Andere verwiesen auf die Frage der Umsetzung. Ähnlich war es nach einem Urteil in den Niederlanden ebenfalls 2021, das den Mineralölkonzern Shell zu einer drastischen Reduzierung seiner Emissionen verpflichtete.

Zu erwarten sind weitere Fälle. Denn der Straßburger Spruch wird andere zu Klagen animieren, weltweit. Der Druck auf Regierungen und auch Konzerne wird steigen. Und es wird präzisere, bessere Umweltpolitik brauchen - weil nicht nur Normalbürger darauf drängen, sondern auch Gerichte.

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